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Dienstag, 1. Juli 2025



Der Gipfel der Abzocke


Um kurz nach zwölf erreichen wir die Passhöhe. Es ist frisch, der Himmel halb bewölkt, die Luft klar – wie frisch gewaschen nach dem langen Anstieg. Ein kleines Plateau tut sich auf, links steht ein Gasthof mit roten Blechtischen und weißen Plastik-Gartenstühlen der Kategorie „Gartenmöbel 1997, wettergegerbt“ davor – der Name: Ristorante Ospizio San Bernardino.

Gemäß unserem inzwischen fest etablierten Tour-Ritual muss es jetzt natürlich einen Cappuccino geben. Susanne ist es – es ist doch merklich kühler als unten in Lecco oder Como – eher nach etwas Herzhaftem. Doch der Blick auf die Getränkekarte trifft uns wie ein Schlag. Ich glaub, ich fall‘ gleich rückwärts vom Stuhl:

  • Espresso:
    4 CHF – okay, ein stolzer Preis, aber noch im Bereich „urbaner Schmerzgrenze“
  • Cappuccino:
    8 CHF – pro Tasse, wohlgemerkt. Für den Preis müsste der aber mit dem Helikopter eingeflogen worden sein.
  • Latte Macchiato:
    8 CHF – vermutlich mit Milch von handgestreichelten Kühen.
  • Cola (0,3 l):
    7,50 CHF – da fragt man sich, ob da wenigstens ein Schweizer Franken im Glas schwimmt.
  • Kirsch (2 cl):
    7 CHF – der Hals brennt, der Geldbeutel weint.
  • Rémy Martin (2 cl):
    10 CHF – man gönnt sich ja sonst nichts.

Und das sind nur die Getränke. Die Speisekarte wird noch sportlicher:

  • Zwölf Scheibchen Salami:
    22 CHF – vermutlich mit handgeschriebenem Lebenslauf und Familiengeschichte der geschlachteten Schweine.
  • Zwölf Scheiben Carne Secca de Grigioni (Bündnerfleisch):
    27 CHF – hauchdünn wie unser Vertrauen in diese Gastronomie.

Wenn du das alles noch toppen willst:

  • Fondue für zwei:
    50 CHF – Da schmilzt nicht nur der Käse.

Und wie steht’s mit dem Wechselkurs? Der ist praktisch: 1:1. So tut’s auch dem Deutschen, Österreicher, Franzosen oder Italiener weh – ohne dass er viel rechnen muss.

Susanne und ich sehen uns stumm an und wissen beide, was der andere denkt. Trotz der unverschämten Preise braucht Susanne jetzt aber was zu essen. Mir selbst ist der Appetit vergangen. Susanne bestellt eine wass’rige Suppe – Kraftbrühe mit Sherry nennen sie diese hier hochtrabend – mit ´ner Scheibe Brot und ich – weil es inzwischen halt so Usus ist – einen Cappuccino. Für zusammen 15,50 €!

Als Schwabe würde ich jetzt sagen: „Fir des Geld kriagsch bei ohs d’rhoim a Nudel-Subb, an Roschdbroda, zom Nochdisch an Zwetgakuacha ond zom Abschluss no an Schnaps aufs Haus.“ Eigentlich wollte ich ja schreiben: „Dia hend doch da **** offa“, aber darf man ja nicht sagen und schreiben tut man’s gleich gar nicht, also denke ich mir nur meinen Teil!

Bloß weg


Ne halbe Stunde später fahren wir weiter. Bloß weg von hier. Etwas Ungastlicheres, etwas Arroganteres und Überzogeneres habe ich noch nirgendwo sonst gesehen auf der Welt.

Wir rollen los – der Panda schnurrt wieder wie ein zufriedenes Murmeltier, dem man ein bisschen Auslauf gönnt. Es geht runter vom Pass, die Straße windet sich in eleganten Schleifen talwärts. Man hat das Gefühl, jede Kurve sei komponiert, teils von einem Straßenbauingenieur, teils von einem Landschaftsmaler mit Hang zur Dramatik.

Zwischen den Serpentinen tauchen abwechselnd Sportwagen, Wohnmobile und Kühe auf. Letztere stehen manchmal so unbeeindruckt am Straßenrand, dass man kurz überlegt, wer hier eigentlich wen beobachtet.

Und dann bemerke ich ihn – einen leuchtend grünen Grashüpfer, der sich mutig an meinem Außenspiegel festklammert. Seit dem Pass sitzt er da, unbewegt, als hätte er beschlossen, heute auch mal einen Roadtrip zu machen, 1000 Höhenmeter gratis. Ich fahre äußerst vorsichtig. Hier geht das, in Italien hätte mich sicher schon wieder einer weggehupt. Susanne macht – ich muss ja fahren – mit dem Handy ein Foto. In Gedanken spreche ich mit dem grünen Stuntman: „Wenn du’s bis Hinterrhein schaffst, bekommst du von mir den Titel ‚Alpenhopper des Jahres‘.“ Aber plötzlich ist er weg.

Noch fünf Kehren, dann sind wir unten. Die Fahrt über den Pass war ein echtes Highlight – herrlich ruhig, kurven- und aussichtsreich. Die Landschaft hat sich dargeboten, als wollte sie uns am letzten Tag unseres Urlaubs noch einmal alles zeigen, was sie drauf hat. Selbst unser kleiner blinder Passagier, der Grashüpfer am Außenspiegel, schien den Ausblick zu genießen. Kurz gesagt: Die Fahrt über den Pass hat sich – wenn man das Ristorante Ospizio San Bernardino ignoriert, und das sollte man unbedingt tun! – mehr als gelohnt.

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